Hörbücher sind nicht meine Welt, das hatte ich schon mal in einer Kolumne verkündet. Der monotonen Stimme eines Geschichtenerzählers zu folgen, gehört nicht zu meinen Talenten, da fehlt es mir schlichtweg an Konzentration. Doch vor ein paar Wochen wurde ich auf den Audible-Atlas aufmerksam. Hier wurden die beliebtesten Hörbuch-Genres je Bundesland ausgewertet und auf Karten dargestellt. Während ich mich also durch die Seite scrollte, machte ich eine Entdeckung, die meine Einstellung zu vor allem Hörspielen noch gewaltig ändern sollte …
VON ROMANTIKERN UND PSYCHOS
Wegen meines Studiums wohne ich zurzeit in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, doch im Herzen bin ich Sachsen-Anhaltinerin. In einem kleinen Städtchen im Harz bin ich aufgewachsen und immer wieder verschlägt es mich in die Heimat – dort fühle ich mich zu Hause, geborgen und angekommen. Sachsen-Anhalt und mich verbindet jedoch mehr als nur Geografie, wir haben beide einen Bindestrich in unserem Namen und gehören zu den Frühaufstehern. Zufall? Ich denke nicht. Es ist also kein Wunder, dass die Auswertung des Audible-Atlas wie die Faust aufs Auge passt.
Der Osten steht auf Liebesromane, das hat zumindest die Audible-Datenbank herausgefunden. Keine anderen Bundesländer laden sich so viele Herzschmerz-Romanzen herunter wie Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Die Hörbücher handeln vom Bauchkribbeln, ersten Flirt und von der ewigen Liebe. Wenn man sich meine Genre-Liste auf dem Blog ansieht, wird man schnell feststellen, dass auch ich ein großer Fan von Liebesromanen bin. Romantische Gesten und Geschichten, bei denen einem das Herz aufgeht, sind genau mein Ding. Das Klischee, Sachsen-Anhaltiner hätten ein weiches Herz und stünden auf Schnulzen, habe ich also erfüllt. Wer hätte das gedacht?
Vor einem Jahr zog es mich dann aber in die Großstadt und ich suchte mir das Rheinland als zweite Heimat aus. Trotz einiger Umstellungen (Bei mir wird es immer dreiviertel Zehn sein!) fühle ich mich hier pudelwohl. Das Studium macht mir Spaß, mein Stadtviertel ist wunderschön und auch meine Nachbarn sind stets offen und freundlich. Wenn man nun aber einen Blick auf den Audible-Atlas wirft, scheinen die NRWler allerdings ganz andere Vorlieben zu haben. Mord und Totschlag, Aggressionen und Hass, eiskalte Killer – das ist es, worauf die Menschen hier im Westen wirklich stehen. Ich möchte nicht sagen, dass mich das beunruhigt, doch wenn man aus einem Bundesland kommt, in dem sich alles um Schmetterlinge und Flugzeuge im Bauch dreht, dann kann es einem in Nordrhein-Westfalen ganz schön unheimlich werden.
Der Osten steht auf Liebesromane, der Westen auf Mord und Totschlag. Was bevorzugst du? Klick um zu TweetenFür meinen Blog habe ich bisher einen Thriller rezensiert, gelesen habe ich vielleicht drei. In einem Buchgeschäft greife ich nie direkt zu den düsteren, spannungsgeladenen Romanen; mein Blick wandert zuallererst zu den bunten, fröhlich gestalteten Liebesschnulzen. Warum eigentlich? Sind es die Farben, die mich reizen oder lasse ich mich zu sehr von den Lesern in meiner Umgebung beeinflussen? Unter Beachtung des Audible-Atlas bin ich bereit, dies herauszufinden. Ich bin eine Romantikerin durch und durch, aber bin ich auch ein Psycho? Erfülle ich das Klischee meiner neuen, zweiten Heimat? Und darüber hinaus: Kann ich mich doch noch mit Hörbüchern anfreunden?
ERBARMEN – EIN SELBSTVERSUCH
Mein Testobjekt wurde ein Audible Original: Erbarmen – Carl Mørck. Was mich besonders daran reizte, war die Bezeichnung Hörspiel. Anders als in einem Hörbuch, bekam hier jede Person ihre eigene Stimme und es wurden Geräusche sowie Hintergrundmusik mit eingebaut. Ganz einfach erklärt ist es ein Film, den man nicht sehen, aber hören kann. Ich ging mit keinerlei Erwartungen an Erbarmen heran. Bei einem Hörbuch wäre ich vielleicht, ungewollter Weise, negativ beeinflusst gewesen, doch unter einem Hörspiel konnte ich mir bis dato nichts vorstellen.
INFOS ZU ERBARMEN
„Carl Mørck, Kommissar der Kopenhagener Mordkommission, wird in das Sonderdezernat Q beordert, das sich mit der Klärung alter ungelöster Fälle beschäftigen soll. Damit ist er aus dem Weg und funkt nicht in laufende Ermittlungen – so die Idee seiner Vorgesetzten. Auch Mørck ist das durchaus recht, er hofft auf einen ruhigen Posten. Doch alles kommt ganz anders. Mørcks neuer Mitarbeiter Hafez el-Assad, der eigentlich als Putzhilfe eingestellt worden ist, macht ihn auf einen Fall aufmerksam – vor fünf Jahren ist eine junge Politkerin, Merete Lynggaards, spurlos verschwunden. Es gibt Ungereimtheiten in der Akte und Mørcks Neugierde ist geweckt. Kann es sein, dass die lange tot geglaubte Frau noch lebt?“ (Quelle: Audible)
Weitere Informationen zum Hörspiel findet ihr hier.
Ich war sehr überrascht davon, wie beruhigend die Stimme des Erzählers (Erich Räuker) auf mich wirkte, war aber gleichzeitig auch dankbar, dass er den Roman nicht alleine las. Er hätte mich mit seiner tiefen, dunklen Stimme regelrecht einlullen können, sodass ich faszinierter vom Klang als vom Inhalt der Geschichte gewesen wäre. Doch schon zu Beginn bekommt man das volle Ausmaß des Hörspiels mit – Türen knallen, Schüsse fallen, Füße gehen über knarrende Böden – und man steckt mitten im Geschehen.
Ein Hörspiel ist wie Theater für die Ohren. Klick um zu TweetenIch hatte ebenfalls das Gefühl, Carl, Assad und Merete genau kennenzulernen, da durch die verschiedenen Sprecher eine persönliche Bindung aufgebaut wird. Vor allem Carolin Kebekus hat mich als junge Politikerin Lynggards sehr überrascht. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich kein großer Fan ihres Comedy-Programms bin, doch in der Rolle der Merete habe ich sie unwahrscheinlich gern gehört. Kebekus hat ihrem Charakter etwas Keckes und Sympathisches verliehen, was zwar zu ihrer Rolle als Opfer passt, gleichzeitig aber auch ihre Willensstärke zeigt.
Ebenso fasziniert war ich von Justus von Dohnányis Darstellung des Kommissars Carl Mørck sowie von Denis Moschittos Verkörperung des Assad. Beide Figuren haben unglaublich gut als Partner harmoniert. Der mürrische und teilweise oft zynische Kommissar blühte durch den etwas unbeholfenen Assistenten auf und es war sehr interessant mitzubekommen, wie sie durch gegenseitige Unterstützung den Fall nach und nach aufklären können.
UND PLÖTZLICH IST ALLES ANDERS …
Ich bin kein großer Fan von Hörbüchern, werde ich wahrscheinlich auch nie sein. Doch Erbarmen hat meine Meinung bezüglich Hörspielen geändert. Die Geschichte ist spannend, man fühlt sich als ein Teil der Handlung und ich fand es fast unmöglich, das „Vorlesen“ zu unterbrechen. Außerdem habe ich festgestellt, dass Thriller doch sehr interessant sein können. Der Nervenkitzel, der im Verlauf der Geschichte entsteht, macht regelrecht süchtig und ich kann meine Nachbarn nun verstehen: ab und zu mal ein Psychothriller bringt definitiv Leben in die Bude – oder auf die Ohren. Habe ich den Einbürgerungstest in NRW bestanden? Ich denke schon.
2 comments
Ich finde es super spannend, was du geschrieben hast, denn mir gehts mit Hörbüchern ganz ähnlich. Meine Konzentration lässt nach kurzer Zeit nach, vor allem, weil es sich um ein und dieselbe Stimme handelt und das Ganze einem Monolog gleicht. Wenn aber verschiedene Stimmen eingesetzt werden, glaube ich, würde mir das Ganze schon viel mehr gefallen. Das ist also eine große Inspiration für mich. Den Audible-Atlas finde ich mega spannend. Und werde ihn mir gleich einmal genauer ansehen. Danke für den großartigen Beitrag!
Bravo. Das genau macht das Leben (lies das Lesen) so bereichernd: sich immer mal wieder an etwas Anderes, Fremdartiges herantrauen.Test bestanden! (Auch wenn ich keine Ahnung habe, was zu einer klassischen NRWlerin so alles dazugehören müsste.)