Tom Kennedy
Garholt Street
Featherbank
September 2018
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Tom,
darf ich dir mein Beileid aussprechen? Oder überschreitet das eine gewisse Grenze? Der Tod deiner Frau ist wirklich äußerst tragisch, doch kann ich nicht behaupten, dass er mich in irgendeiner Form mitnimmt. Im Gegenteil, eigentlich kommt er mir ganz gelegen, aber fangen wir am besten von vorn an.
Du hattest nie wirklich ein Händchen für Kinder, oder? Es ist ganz offensichtlich, dass deine Beziehung zu Jake sehr distanziert ist. Hast du jemals mit ihm gespielt oder war das immer Rebeccas Aufgabe? Während die beiden Zeit miteinander verbrachten, warst du damit beschäftigt deine Bücher zu schreiben. Waren die überhaupt gut? Wahrscheinlich nicht, denn ich habe nie auch nur eins davon gelesen. Rebecca war dafür zuständig, dass es Jake gut ging. Sie hat sich um ihn gesorgt, ihn getröstet, mit ihm gelacht. Du hast dich stets im Hintergrund aufgehalten, bist deinem Sohn nie zu nahe gekommen, weil du dachtest, er würde dich sowieso nicht leiden. Wie sollte er auch, wenn sich sein Vater nie an seinem Leben beteiligt?
Und dann ist sie gestorben. Es geschah ganz plötzlich, nicht? Von heute auf morgen war sie einfach nicht mehr da, und du warst mit dem kleinen Plagegeist allein. Jetzt hattest du ihn am Hals. Doch anstatt zu ihm eine Beziehung aufzubauen, hast du ihn in den 567 Club gebracht. Du brauchtest Zeit für dich, meintest du immer. Du musstest mit dem Verlust deiner Frau klarkommen. Musstest trauern. Und Jake hast du einfach abgeschoben, aber es kommt noch besser: Anstatt ihm durch die schwere Zeit zu helfen, hast du einfach einen Schlussstrich gezogen. Du wolltest raus aus dem Familienhaus, raus aus dem Heim, dass dich zu sehr an Rebecca erinnert. Du wolltest weg. Du hast Jake aus seinem vertrauten Umfeld gerissen und bist weg gezogen. In einen anderen Ort. Ein Neuanfang.
Da komme ich ins Spiel. Ich habe dich beobachtet, Tom. Ich habe gesehen, wie gleichgültig dir Jake ist. Wie wenig ihr miteinander redet. Wie viele Geheimnisse er vor dir hat. Also werde ich ihn mir holen, denn wer würde jemals ein Kind vermissen, um das sich nicht gesorgt wurde, stimmt’s? Bei mir wird es ihm besser gehen, denn ich habe auch ihn beobachtet. Anders als du habe ich ihm meine Aufmerksamkeit geschenkt. Doch sei nicht besorgt, sobald ich ihn habe, kannst du endlich so leben, wie du es dir gewünscht hast. Allein, ohne Kind. Denn auch du weißt, dass er ohne dich besser dran ist.
Auf bald, Tom. Achte auf das Flüstern, dann bin ich nicht mehr weit.
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Seiten: 448
ISBN: 978-3-7645-0710-7
Autor: Alex North
Originaltitel: The Whisper Man
Übersetzerin: Leena Flegler
Preis: 13€ (Taschenbuch), 9,99€ (E-Book), 25,95€ (Hörbuch) Direkt in deiner Buchhandlung kaufen.
2 comments
Wow, so schön geschrieben!
Danke. Freut mich, dass es dir gefällt! 🙂