Kolumne || The Undoing of Thistle Tate: Wie weit würdest du für eine Lüge gehen?

by Marie-Theres Werner
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Thistle Tate ist mit bereits siebzehn Jahren Beststeller-Autorin der Lemonade-Skies-Buchreihe. In ihrer Trilogie dreht sich alles um Marigold, die über ein geheimes Portal in die Nachwelt reisen kann, um dort ihre verstorbene Mutter zu finden. Auch Thistle hat vor einigen Jahren ihre Mutter verloren und es scheint, als würde Lemonade Skies ihr dabei helfen, die Erfahrungen und Gefühle dieser traurigen Zeit zu verarbeiten. Allerdings hat die Sache einen Haken: Thistles Name steht zwar auf dem Cover, doch sie hat die Bücher gar nicht geschrieben. Der eigentliche Autor ist ihr Vater Theo, der überzeugt davon war, dass sich ein Jugendbuch von einer Teenagerin wesentlich besser verkauft als von einem Familienvater mittleren Alters.

Der Deal war klar: Thistle spielt die Intrige bis zur Veröffentlichung des letzten Bandes mit – geht zu Signierstunden und Lesungen, führt Interviews und hilft ihrem Vater ab und zu bei der Besprechung des Plots – danach kann sie ihr eigenes Leben führen. Während also der dritte und letzte Roman in Arbeit ist, scheint Thistles Fassade allerdings zu bröckeln. Wie lange kann sie die Lüge noch aufrecht erhalten? Wann kann sie der Welt endlich zeigen, wer sie wirklich ist? Und wie kann sie zwischen Marigold und Lemonade Skies überhaupt herausfinden, wer sie sein will?

Erscheinungstermin: 23.07.2019
Seiten: 272
ISBN: 9780823442393
Autorin: Katelyn Detweiler
Preis: 23€ (Hardcover), 10€ (Taschenbuch), 13,49€ (E-Book)

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The Undoing of Thistle Tate wirft viele Fragen auf, vor allem geht es aber um die Bedeutung von Wahrheit und Lüge. Ist es okay zu lügen? Und wenn ja, wie weit darf man dabei gehen? Während ich den Jugendroman von Katelyn Detweiler las, sind mir drei verschiedene Szenarien aufgefallen: Lügen aus Liebe, Lügen als Notwendigkeit und Lügen aus Loyalität. Macht es einen Unterschied für wen man lügt, oder kann man eine Lüge letztendlich nie rechtfertigen?

LÜGEN AUS LIEBE

Nach dem Tod ihrer Mutter schlägt sich Thistle mit ihrem Vater alleine durch. Die beiden haben ein sehr enges Verhältnis und als ehemaliger Highschool-Lehrer unterrichtet Theo seine Tochter sogar zu Hause. In einer Englischhausaufgabe schreibt Thistle über ein Portal, das es ihr ermöglicht, ihre verstorbene Mutter noch einmal zu sehen und Theo findet die Geschichte so gut, dass er sie in ein Buch verwandelt.

Schon oft hat sich Thistles Vater an einem Roman versucht, doch leider wurden seine Manuskripte von den Verlegern immer abgelehnt. Bei Lemonade Skies kommt ihm dann die Idee: Er legt ein Bild seiner Tochter bei und gibt vor, sie habe den Jugendroman geschrieben und tatsächlich kommt nur wenige Wochen später die Zusage. Als er Thistle davon erzählt ist sie allerdings nicht so begeistert. Sie ist davon überzeugt, dass die Lüge irgendwann auffliegen wird und versucht, ihren Vater zu überreden, seinen eigenen Namen zu verwenden. Doch Theo weiß, dass dies seine einzige Chance ist, ein Werk von sich zu veröffentlichen, also gibt Thistle letztendlich nach und geht den Deal ein: Für die Welt ist ab sofort Thistle Tate die Autorin von Lemonade Skies.

Ich bewundere Thistle für ihre Entscheidung. Nicht unbedingt dafür, dass sie die Verleger und Fans anlügt, sondern eher dafür, dass sie ihrem Vater zu Liebe diese Last auf sich nimmt. Es gibt nicht viele Menschen in meinem Leben, für die ich solch ein Hindernis bestreiten würde, doch wenn der Respekt und das Vertrauen groß genug sind, würde ich für sie meine Hand ins Feuer legen. Man sagt ja nicht ohne Grund, dass die Liebe sogar Berge versetzen kann. Trotzdem frage ich mich: Ist das Grund genug, um den Rest der Welt zu hintergehen? Rechtfertigt es eine Lüge, wenn man einer Person, die man liebt, damit hilft? Thistle weiß, wie sehr sich ihr Vater ein eigenes Buch wünscht; wie oft er es schon versucht hat und doch immer wieder gescheitert ist. Sie weiß, dass sie es in der Hand hat, ihm diesen Wunsch zu erfüllen – auch wenn sie dabei ihr eigenes Leben auf den Kopf stellt.

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LÜGEN ALS NOTWENDIGKEIT

Während einer Lesung und anschließender Signierstunde lernt Thistle Oliver kennen. Er ist stellvertretend für seine kleine Schwester Emma (ein großer Marigold-Fan) auf der Veranstaltung, da sie zu krank ist, um selbst daran teilzunehmen. Thistle und Oliver bleiben nach der Signierstunde in Kontakt und später lernt sie sogar seine Schwester kennen, doch Thistle weiß, dass sie nicht zu weit gehen darf – Oliver und Emma dürfen nie die Wahrheit erfahren.

Kann man Freundschaft auf Lügen aufbauen? Oliver und Emma haben Thistle bereits als Lüge kennengelernt, wieso sollte sie die Geschichte dann nicht einfach aufrechterhalten? Bald ist der letzte Band der Trilogie veröffentlicht, das letzte Buch signiert und der letzte Satz vorgelesen, dann kann Thistle dieses Kapitel hinter sich lassen. Doch geht das so einfach? Kann man einen so großen Abschnitt in seinem jungen Leben einfach abhaken? Und wenn sie doch die Wahrheit erzählt, werden sich Oliver und Emma von ihr abwenden oder würde wahre Freundschaft die Lüge überleben?

Ich bin mir sicher, jeder von uns hat schon einmal eine Notlüge erzählt. Egal, ob es ein „Ich bin schon unterwegs“ ist, obwohl man gerade erst aus der Dusche kommt, oder ob es ein „Natürlich steht dir das neue Kleid super“ ist, weil man die Gefühle des anderen nicht verletzen möchte. Notlügen sind manchmal wichtig – würde man immer nur die Wahrheit sagen, kann man sich ebenso schnell Feinde machen. Doch was passiert, wenn eine kleine Lüge das Ausmaß deiner ganzen Existenz annimmt?

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LÜGEN AUS LOYALITÄT

Liam ist nicht nur Thistles Nachbar und ihr bester Freund, er ist außerdem der einzige, der von Thistles und Theos Geheimnis weiß. Er hält es von Anfang an für keine gute Idee, unterstützt Thistle aber wo er kann, da er merkt, dass auch sie mit der Situation unglücklich ist. Liam ist Thistles Anker und Zufluchtsort – er ist der einzige Mensch, bei dem sie sein kann, wie sie wirklich ist; der einzige Mensch, der sie trotz der Lüge mag.

Doch kann man Liams Verhalten auch als Lüge deuten? Gilt es als Lüge, etwas nicht zu sagen? Es ist nicht sein Geheimnis und damit auch nicht seine Aufgabe, der Welt reinen Wein einzuschenken, aber ist er vielleicht ein Komplize? Ist Liam ein Lügner, weil er die Wahrheit kennt und sie trotzdem verheimlicht?

Auch ich habe schon einmal in Liams Sinne gehandelt; habe einer Freundin ein Alibi verschafft, obwohl sie die Nacht bei jemand anderem verbracht hat. Als Lügnerin habe ich mich in der Situation allerdings nicht gefühlt. Natürlich habe ich nicht die Wahrheit gesagt, ich war aber auch nicht diejenige, die die Handlung ausgeführt hat. Ich habe die Nacht in meinem Bett verbracht, genau dort, wo ich auch hätte sein sollen. Geht es Liam also ähnlich? Er hat nichts mit der Lemonade-Skies-Buchreihe zu tun, er hat sie nicht geschrieben und auch keine Ideen geliefert. Ist er also nur ein guter Freund, der im richtigen Moment die Klappe hält? Oder kann man es ihm genauso zum Vorwurf machen, dass die Marigold-Fans die falsche Person bewundern?

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